23.12.2022

Die besonderste IPHO aller Zeiten

Wald, Wiesen, Felder. Nur ein paar Bauerhöfe säumen die einsame Landstraße. Ins nächste Dorf dauert es eine Dreiviertelstunde zu Fuß, in die nächste Stadt eine Stunde mit dem Auto, in die nächste Großstadt vier Stunden mit dem Zug. So hätte ich mir die 52. Internationale Physikolympiade (IPHO) nicht vorgestellt. Der größte Physik-Schülerwettbewerb der Welt pendelt doch sonst nur zwischen den wichtigsten, größten und schönsten Metropolen dieser Welt hin und her: Singapur im einen Jahr, Tokio im nächsten Jahr. »Stidsholt« heißt die Metropole dieses Jahr.

Ursprünglich sollte die IPHO 2022 in Minsk stattfinden. Aus nahe liegenden Gründen ist sie dann sehr kurzfristig ausgefallen. In dieser Notsituation ist schließlich die Schweiz eingesprungen. Aber die ganze Welt – die IPHO hat um die 80 Teilnehmerländer – so plötzlich in die Schweiz einzuladen war nicht mehr möglich. Also wurde die IPHO zum dritten Mal nach zwei Coronajahren wieder online abgehalten. Und trotzdem wollte die Schweiz aber ein paar befreundeten Ländern eine IPHO in Präsenz ermöglichen und gleichzeitig selbst in ein eigenes Land reisen. Also lud sie sieben Nationen, darunter z.B. Island, Schweden oder Belgien, nach Dänemark ein – nach Stidsholt, wo sich ein passendes Internat zu günstigen Konditionen fand. So kam es also zur schweizerischen Online-Physikolympiade, die in Dänemark geschrieben wurde.

Heuspeicher statt Hochhäusern ragen hier aus dem Boden. Ich bin mir sicher, dass noch nie zuvor in der Geschichte der Welt die Reise Wien-Stidsholt angetreten wurde. Dabei ist die einsame Landschaft von Nordjylland ganz im Norden der dänischen Halbinsel, wo selbst im Sommer die Temperatur nicht über 20°C steigt, diese Reise auf jeden Fall wert. Die Reise bis hierher war nicht nur geographisch sehr lang: Kurs, Kurswettbewerb, Landeswettbewerb, Intensivtraining, Bundeswettbewerb 1, Bundeswettbewerb 2 und IPHO-Training galt es zu bestehen – eine langes Jahr voller Arbeit.

Computersimulationen von fallenden Kugeln auf fremden Planeten (allein mit der Fallzeit und ein paar spezifischen Daten musste man z.B. die Druckverhältnisse in der Atmosphäre bestimmen), ein vereinfachtes Modell der Wärmedämmung vom James-Webb-Space-Teleskop, massenhaft Dioden und die Festigkeit von Sandburgen – all diese Aufgaben haben diese IPHO irrsinnig faszinierend und irrsinnig schwierig gemacht. Ich persönlich habe 5 von 50 Punkten erreicht. Das ist genauso viel Abstand wie die fünf Chinesen an der Spitze vom 6.-Platzierten haben. Der beste Österreicher erreichte 8 Punkte. Das reichte immerhin für drei Honourable Mentions (eine Art 4. Platz), leider nicht für mich. Mein bestes Beispiel war lustigerweise ein hochkomplexes, wo man mit hyperbolischen Integralen ein Flug durch das All unter Berücksichtigung der speziellen Relativitätstheorie berechnen musste. An den leichteren Aufgaben bin ich gescheitert. Ich bin trotzdem absolut zufrieden mit diesem Wettbewerb. Allein bei der IPHO zu stehen ist ein wahnsinniger Erfolg, der jedes Jahr nur 400 SchülerInnen vergönnt ist (weltweit nehmen aber mehrere Millionen teil).

Das wichtigste Ranking haben wir Österreicher gewonnen: Wir waren das beliebteste Team unter allen Teams in Stidsholt! Ich hab gute Freunde in Österreich und international gefunden und unendlichen Spaß gehabt. Außerdem habe ich die besonderste IPHO aller Zeiten erlebt. Dafür bin ich nach Dänemark gefahren, und nicht um verbissen um Medaillen zu kämpfen. Generell war der Wettbewerb absolute Nebensache. Die ganze Geschichte erinnerte eher an ein Sommersportcamp. Passenderweise war das Internat auch ein Sportinternat mit Riesenfußballfeld und Riesenturnhalle. Ein Fußballturnier, ein Lagerfeuer, eine „Schnitzel-Hunt“, ein Backnachmittag (Österreich hat Kaiserschmarrn gemacht) und dazu noch Sightseeing-Ausflüge ans Meer und zu einem Mittelaltermarkt auf Schloss Voergaard kreierten eine absolut familiäre Atmosphäre. Dadurch wurde das Kennenlernen neuer Menschen absolut befeuert. Ich und meine österreichischen Kollegen haben nun Freunde in Belgien und Schweden.

Für mich geht die Reise nach erfolgreicher Matura nun weiter. Wohin kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls danke ich der österreichischen Physikolympiade für dieses unglaubliche Jahr und Prof. Holler und Prof. Schöfl für vier Jahre Physikolympiadenkurs auf der Schule!